von Michael Winkhaus
Wer abends eine freie Sicht nach Westen hat, muss sich das aktuelle Himmelsschauspiel unbedingt ansehen. Denn ihn gibt es in diesem Jahr pünktlich zu Weihnachten zu bestaunen: Den Stern von Bethlehem.
Jedes Jahr taucht um die Weihnachtszeit die Frage auf: Was war dieser Stern, der drei Sternendeutern aus dem Osten den Weg zur Krippe gewiesen haben soll? Gab es diesen Stern überhaupt oder ist diese biblische Geschichte nur ein frommes Märchen? Leuchtete am nächtlichen Himmel zur Zeit der Geburt Christi tatsächlich ein besonderes Gestirn auf, das die Geburt eines Gottessohnes vorhersagte?
Der Kern der Geschichte geht auf das Evangelium von Matthäus zurück. Dort steht geschrieben: „Als Jesus geboren worden war zu Bethlehem in Judäa zur Zeit des Königs Herodes, siehe, da gelangten Magier aus dem Osten nach Jerusalem und fragten: Wo ist der neugeborene König der Juden? Wir haben seinen Stern im Aufgang gesehen und sind gekommen, ihn ehrfurchtsvoll zu begrüßen.“
Wer waren diese „Weisen aus dem Morgenlande“? Es müssen wohl vornehme Herren gewesen sein und ihr Auftreten in Jerusalem hat offensichtlich Aufsehen erregt. Sonst wären sie wohl kaum zu dem despotischen Herodes vorgelassen worden. Sie müssen auch gut informiert gewesen sein, denn ihnen war bekannt, dass man in Jerusalem schon länger auf einen Thronfolger hoffte. Herodes war schon alt und litt an Aussatz. Nur mit brutaler Gewalt konnte er sich an der Macht halten und über die Juden herrschen. Er selbst war kein Jude, sondern Idumäer. Die Römer hatten ihn als Statthalter von Palästina eingesetzt. Er war somit vom römischen Kaiser Augustus und seinem Wohlwollen abhängig.
Im Osten von Palästina (dem heutigen Israel) lag Babylon. Hier hatte seit mehr als 1000 Jahren zuvor die Himmelskunde eine ganz besondere Bedeutung erlangt. In Babylon und anderen babylonischen Städten, die schon früh Superstädte mit hoher Einwohnerzahl (mehr als 40.000) waren, richtete man fast das gesamte Leben nach dem Sternenhimmel aus. In Babylon sah man in den Gestirnen, vornehmlich in den sieben Wandelsternen Sonne, Mond, Merkur, Venus, Mars, Jupiter und Saturn im wahrsten Sinne „überirdische“ Wesen, also Gottheiten, die durch den Himmel wandern. Wenn die Priesterastronomen auch die wahre Gestalt dieser „Planeten“ (= Wanderer) nicht erkunden konnten, so kannten sie jedoch genau ihre Bewegungen am Himmel und waren auch in der Lage, diese mind. 50 Jahre im voraus zu berechnen. Im Muster der Sternbilder erkannten sie die irdischen Länder, die von den Göttern durchwandert wurden.
Dicht mit Keilschriftzeichen beschriebene und gut erhaltene Tontafeln zeugen von ihren erstaunlichen astronomischen Rechenkünsten. Diese Priesterastronomen waren wahre „Magier“ und machten sich ihre Erkenntnisse zunutze, in dem sie den schlichten Königen und Bürgern ihr Schicksal prophezeiten. Und ihnen wurde gerne geglaubt, konnten sie doch die Bewegungen und damit das Verhalten der Himmelsgottheiten (und damit ihren Willen) stets richtig vorhersagen. Noch heute lassen sich die Spuren dieser Tradition bei Zeitgenossen erkennen, die immer noch meinen, dass ihr persönliches Schicksal durch die Sterne bestimmt sei.
Gab es nun zur Zeit der Geburt Christi eine Himmelserscheinung, die die babylonischen Magier veranlasst haben könnte, von Babylon nach Jerusalem zu reisen, um einem König bzw. Gottessohn ihre Aufwartung zu machen?
Dazu muss man wissen, wann Jesus Christus so ungefähr geboren wurde. Dies war jedenfalls nicht im Jahr 1 oder 0 unserer Zeitrechnung der Fall, sondern „7 v. Chr.“! Denn im römischen Reich zählte man die Jahre zunächst ab der Gründung Roms (a.u.c. = ab urbe condita, 753 v. Chr.) und später dann nach römischen Kaisern. Erst im Jahr 525 n.Chr. hat der in Rom lebende Mönch Dionysius Exiguus den Vorschlag gemacht, die Jahre nach der Geburt „des Herrn“ zu zählen. Diese Zählweise A.D. (Anno Domini = im Jahre des Herrn) setzte sich bald durch. Es ist nun sehr verständlich, dass Dionysius nach über 500 Jahren bei der Bestimmung des Geburtsjahres Christi ein Fehler unterlaufen ist. Heute wissen wir, dass König Herodes bereits im Jahr 4 v. Chr. elendig gestorben ist. Die Geburt Christi erfolgte im Jahr 7 v.Chr. bzw. im Jahr „-6“ in der astronomischen Zählweise, die das Jahr „0“ enthält (die Zahl 0 gibt es im römischen Zahlensystem nicht, das Dionysius benutzte). Was also spielte sich im Jahr „-6“ oder 7 v. Chr. am Himmel ab?
In vielen Darstellungen ist der „Stern von Bethlehem“ als Komet zu sehen. So hat beispielsweise der Florentiner Maler Giotto di Bondone auf einem Fresco in einer Kapelle in Padua im Jahre 1304 über der Krippe Jesu Christi den Halleyschen Kometen als Stern von Bethlehem dargestellt. Giotto hatte den Halleyschen Kometen bei seiner Annäherung an die Erde im Jahre 1301 selbst beobachtet und war offensichtlich in seiner Faszination dieser Himmelserscheinung davon überzeugt, dass ein solcher Komet als Weihnachtsstern infrage kommt. Doch aus mehreren Gründen war der Stern von Bethlehem sicherlich kein Komet. Zum einen sind diese hellen Schweifsterne von den Babyloniern nicht im voraus zu berechnen gewesen und zum anderen gab es im Jahr 7 v. Chr. mit Sicherheit keinen Kometen am Himmel zu sehen. Diesen auffälligen Schweifsternen zollte man nämlich in der gesamten Menschheitsgeschichte stets eine große Beachtung und ihr Erscheinen wurde von allen Völkern immer sehr genau dokumentiert. Im Jahr 7 v. Chr. wurde aber kein Komet im gesamten Mittelmeerraum gesichtet. Gravierender jedoch ist der Umstand, dass Kometen niemals als Geburtsanzeiger angesehen wurden, sondern im Gegenteil: Seit jeher galten Kometen als Unglücksboten, in deren Gefolge Hungersnöte, Seuchen und Kriege die Menschen heimsuchten. Sie kündigten auch das Ableben eines Herrschers an (z.B. 44 v. Chr. den Tod Caesars), aber niemals die Geburt eines Königs oder Gottessohns.
Auch das Erscheinen einer Supernova, die von Johannes Kepler und seinem Lehrmeister Tycho Brahe durch eine eigene Beobachtung als „Stern von Bethlehem“ ins Spiel gebracht wurde, scheidet als Möglichkeit aus.
Überrest einer Supernova des Jahres AD 1054: Der Krebsnebel Messier 1. Foto: Aufnahme mit 0,51m Planewave- Teleskop. Projektkurs Astronomie am CFG Wuppertal
Ein plötzlich aufflammender Stern hätte von den Babyloniern auch nicht im vorhinein berechnet werden können und es fehlen ebenso jegliche Sichtungsberichte im gesamten Mittelmeerraum. Zudem müssen wir uns auf die Suche nach einem Himmelsereignis machen, das zur babylonischen Astrologie und ihrem Sternenglauben passt.
Die Magier aus dem Osten waren damals die letzten Hüter des Marduk-Tempels, denn Babylon hatte seine Hochblüte längst hinter sich und war eine sterbende Stadt. Marduk war der Stadtgott Babylons und wurde am Himmel durch den glänzenden und majestätisch schreitenden Jupiter (in 12 Jahren um den gesamten Tierkreis) repräsentiert. Nun kam es im Jahr 7 v. Chr. zu einer dreifachen Begegnung (Konjunktion) von Jupiter mit Saturn im Sternbild der Fische. Saturn war bei den Magiern die Göttin Kewan, die Herrscherin und Schutzpatronin der Juden, also des Volkes Israel, das gleich zweimal in babylonische Gefangenschaft geriet (im Alten Testament wird davon berichtet). Noch heute zeugt der „Saturntag“ (engl. Saturday) als heiliger jüdischer Wochentag Sabbat davon. Das Sternbild der Fische wiederum symbolisierte für die babylonischen Sternendeuter das Land Palästina, das von Babylon aus am Meer, also bei den Fischen, liegt. Zu einer (sehr seltenen) dreifachen Konjunktion kam es, weil die Oppositionsschleifen von Jupiter und Saturn zusammenfielen, dreimal wanderte Jupiter knapp an Saturn vorbei. Die Magier sahen in dieser dreifachen Begegnung ihres Gottes Marduk mit der Göttin Kewan im Sternbild der Fische wohl einen Liebestanz mit dem (verständlichen) Ergebnis, dass im Lande der Fische (also in Palästina) der lang erwartete neue König der Israeliten das Licht dieser Welt erblickt. Und so machten sie sich auf den weiten Weg, um dem neuen Gottessohn zu huldigen. Wo anders sollten sie suchen als am Königshof in Jerusalem, wo noch Herodes über die Juden herrschte. Von Jerusalem aus gesehen standen die eng im Liebesspiel umschlungenen Planeten Jupiter und Saturn abends genau hoch im Süden und wiesen den Sternendeutern dann also auch den Weg nach Bethlehem, das genau im Süden von Jerusalem liegt und das schon vom Propheten Micha im Alten Testament als Geburtsort des neuen Messias vorhergesagt worden war.
Jupiter und Saturn im Sternbild Fische am 4. Dezember des Jahres -6, 18:30 Uhr, Jerusalem
Die Dreifachkonjunktion von Jupiter und Saturn vom Jahr -6 bis -5, erstellt mit Stellarium
Kein geringerer als Johannes Kepler hatte vermutet, dass die dreifache Begegnung von Jupiter und Saturn im Jahre 7 v. Chr. als „Stern von Bethlehem“ zu deuten sei – allerdings noch ohne die genauen Hintergründe zu kennen. Vielmehr beobachtete Kepler die einfache Konjunktion von Jupiter und Saturn, die im Dezember 1603 im Sternbild Schlangenträger stattfand. Bald darauf leuchtet genau in diesem Sternbild auch die Supernova von 1604 auf, so dass Kepler einen ursächlichen Zusammenhang zwischen der einfachen großen Konjunktion und dem Aufflammen der „Nova Stella 1604“ vermutete. Aber erst nachdem 1925 Paul Schnabel die neubabylonischen Keilschriftaufzeichnungen entzifferte und man die Vorhersage der Planetenkonstellationen auf alten Tontafeln fand, hat sich Keplers Vermutung bestätigt.
Aus der Quellenlage darf durchaus geschlossen werden, dass der Besuch der Magier am Königshof des Herodes tatsächlich stattgefunden hat. Auch der von Herodes befohlene Kindesmord ist historisch verbürgt. Denn nach dem Evangeliumsbericht sind die Magier der Aufforderung Herodes nicht nachgekommen, ihm von dem Gottessohn zu berichten, wenn sie ihn gefunden haben. Vielmehr „zogen sie auf einem anderen Weg zurück in ihr Land“ (Matthäus). Herodes ließ dann aus Angst vor einem eigenen Machtverlust alle Knaben von zwei Jahren und darunter töten. Am Himmel konnte man diese Bedrohung übrigens auch erleben, denn das Liebesspiel der beiden Planetengottheiten Jupiter und Saturn wurde gegen Ende des Jahres 7 v. Chr. durch den schnell heraneilenden Planeten Mars bedroht, der nach babylonischem Sternenglauben für Krieg und Tod steht. Wer Lust hat, kann sich das alles mit dem kostenfreien Planetariumsprogramm Stellarium (Stellarium.org) durch eine Zeitreise ins Jahr -6 selber anschauen.
3. Februar -5 um 18:30 Uhr: Mars eilt herbei
Es ist eines dieser wundervollen Zufälle der Geschichte, dass ausgerechnet eine solche Planetenkonjunktion von Jupiter und Saturn wohl auch der Anlass war, das Christentum als römische Staatsreligion auszurufen. Kaiser Konstantin schlug im Herbst 312 in der Schlacht an der Milvischen Brücke seinen Rivalen Maxentius und wurde damit zum alleinigen Herrscher im weströmischen Reich. Bereits im Frühjahr 312 marschierte Konstantin in Italien ein. Maxentius war gut darauf vorbereitet, er hatte mehrere Städte in Norditalien zusätzlich befestigen lassen und war auch zahlenmäßig mit über 100.000 Soldaten seinem Rivalen wohl weit überlegen. Am Vorabend der entscheidenden Schlacht hatten Konstantin und sein Heer ein (christliches) Kreuz aus Licht am Himmel gesehen. Dieses Zeichen war Konstantin zunächst nicht verständlich gewesen, weshalb ihm dann in einer Vision in derselben Nacht vor der Schlacht Jesus Christus mit dem gesehenen Zeichen erschienen sei und die Verwendung des Kreuzes als Schutz- und Siegeszeichen überreicht wurde.
Mögliche Kreuz-Erscheinungen am Himmel im November vor der Konjunktion und im Dezember während der Konjunktion
Die siegreiche Schlacht bei der Milvischen Brücke markiert aus späterer Sicht den Übergang zu einer christenfreundlichen Politik, da Konstantin seinen Sieg offenbar dem Wirken des Gottes der Christen zuschrieb. Im Jahre 325 findet dann die Christenfreundlichkeit von Konstantin im Konzil von Nicäa seinen Höhepunkt, das als Gründung der römisch-katholischen Kirche gilt. Im Jahre 380 wird das Christentum dann zur offiziellen römischen Staatsreligion. In Konstantins Vision vom christlichen Kreuz verband sich in seiner Vorstellung der unbesiegbare römische Sonnengott „Sol invictus“ mit dem Christengott. Und so wurde auf dem Konzil von Nicäa auch das Geburtsfest Christi auf den Tag der Neugeburt des „Sol invictus“, also auf den Tag der Wintersonnenwende gelegt, zumindest nach dem damals noch gültigen julianischen Kalender auf den 25.12. (obwohl das Datum der „wahren astronomischen“ Wintersonnenwende wegen einer unzureichenden Schaltjahresformel schon auf dem 21.12. lag). Diese Festlegung wurde dann auch im gregorianischen Kalender 1582 aus Ehrerbietung den römisch-katholischen Kirchenvätern gegenüber in dieser Weise übernommen. Damit ist also das Weihnachtsfest inhaltlich das römische Wintersonnenwendfest des „Sol invictus“, freilich nun mit neuem christlichen Inhalt. Etwas anderes hätte Konstantin als Soldatenkaiser seinen sonnengläubigen Kriegern auch nicht zumuten können (Feiertagskontinuität).
Auf diese wundersame himmlische Weise verbindet sich die Geburtsgeschichte des Jesus von Nazareth als dem babylonisch-astrologisch angekündigten Gottessohn mit der Gründung der römisch-katholischen Kirche aus dem römischen Sonnenkult durch Kaiser Konstantin. Und in diesem Dezember 2020 findet diese Himmelserscheinung genau an dem Datum der Geburt des römischen Sonnengottes „Sol invictus“, also dem ursprünglich festgelegten Weihnachtfesttag, also ausgerechnet am 21.12. (Wintersonnenwendtag) ihren Höhepunkt. Dann werden die beiden Planetengottheiten Jupiter (Marduk) und Saturn (Kewan) im Sternbild Steinbock zu einem hellen Stern verschmelzen, den man mit bloßem Auge nicht mehr getrennt wahrnehmen kann. Erst mit einem Teleskop wird man sehen können, dass der am Abendhimmel im Westen hell leuchtende Stern die Begegnung der beiden größten Planeten in unserem Sonnensystem, Jupiter und Saturn, ist.
Jupiter und Saturn im Steinbock am 21.12.2020, 17:00 Uhr
Im Jahre 1463 trafen sich die beiden Planeten Jupiter und Saturn übrigens das erste Mal wieder im Sternbild der Fische. Daran knüpfte der portugiesische Jude Abarbenel die Behauptung, dass nun endlich der erwartete Messias der Juden geboren worden sei. Der englische Gelehrte Roger Bacon, der im 13. Jahrhundert lebte, gab der Meinung Ausdruck, dass alle großen religiösen Bewegungen durch Konjunktionen des Jupiter und Saturn ausgelöst worden seien. Er glaubte sich dabei nicht nur auf Jesus, sondern auch auf Moses beziehen zu können. Auch das angebliche Geburtsjahr Mohameds 571 war durch eine große Konjunktion, die im Sternbild Skorpion stattfand, ausgezeichnet. Bacon würde in seiner Ansicht sicherlich bestärkt worden sein, wenn er erlebt hätte, dass auch Martin Luthers Geburtsjahr 1483 eine große Konjunktion aufweist.
Und, wer weiß, vielleicht wird man in Zukunft der besonders nahen Begegnung der beiden Planeten Jupiter und Saturn zur Wintersonnenwende 2020 astrologisch auch eine besondere Bedeutung zuweisen. Eine besondere Zeit erleben wir mit der aktuellen Pandemie ja auf jeden Fall. Der astrologische Glaube gehört allerdings einer vergangenen Zeit an, ist aber ohne Zweifel kulturhistorisch sehr interessant und hat auch durch ihre Beobachtungen und Vorausberechnungen der wissenschaftlichen Astronomie gute Dienste geleistet. Für die Ankündigung der Geburt eines Messias kann sie heute aber nicht mehr glaubwürdig verwendet werden.
Trotzdem: Frohe Weihnachten!
Michael Winkhaus, StD
Schülerlabor Astronomie am Carl-Fuhlrott-Gymnasium und Fachbereich Didaktik der Physik, Bergische Universität Wuppertal
Fotos: (c) Bernd Koch